Charisma der Herz-Jesu-Missionare

Am Anfang steht die Inkarnation.

Am Anfang steht die Inkarnation. Gott wird Mensch, er macht sich erfahrbar. Ganz konkret. Als Liebe, die bis in den Tod geht. Die nichts scheut für den, den sie liebt. Die Liebe Gottes zu den Menschen darf was kosten. Wie sollten wir Menschen mit unserem schwachen Vertrauen sonst an sie glauben können?

Immer wieder in der Spiritualitätsgeschichte ging die Erfahrbarkeit Gottes unter dem Gott der theologischen Reflexionen verloren, der meist fern und abstrakt war. Distanziert und kühl. Eng und streng. In Definitionen fixiert. Immer wieder musste er sich daraus befreien und sich bemerkbar machen als der, der er war, ist und sein wird: erfahrbare tätige Liebe, warmherzig, barmherzig. Schon früh war es das Herz Jesu, in dem diese Liebe für die Menschen verankert war. In diesem menschlichen und damit auch nahen Herzen, in dem sich all das vereint, was Jesus Christus ausmacht als das fleischgewordene Wort Gottes, seine ganze Person.

Unterkühlte Theologie und reale Krisenzeiten gingen oft Hand in Hand. Sie machten die Not auf allen Ebenen groß, wurden aber auch immer Zeiten großer Gotteserfahrungen. Die Scholastik und die Krise der Kirche im Ringen um die Macht zwischen Papsttum und Kaisertum im 13.Jhdt, ein rigoristischer Jansenismus und der 30-jährige Kriege im 17.Jhdt, ein kühler Theismus und die Folgen der französischen Revolution im 19.Jdht. waren solche Zeiten. Da machen sich Menschen auf, mit ihrer Not, aber auch mit ihrer Sehnsucht, um den verheißenen Gott Jesu Christi wieder zu finden, ihm neu zu begegnen.  Auch heute noch muss er spürbar, erfahrbar sein, wenn die Beziehung tragen soll, retten soll, heilen.

Dazu braucht es als Gegenüber Gottes Menschen mit Sehnsucht und offenen Herzen. Im Mittelalter waren das neben einigen anderen besonders die Frauen von Helfta (v.a. Gertrud von Helfta, 1256 – 1302), deren Liebesmystik getragen ist von einer ganz nahen und persönlichen Christusbeziehung. Am Beginn der Neuzeit ist das eine Margareta Maria Alacoque (1647 – 1690) mit ihren vier Herz-Jesu-Visionen, in denen zeitbedingt die Beziehung zwischen den Menschen und dem Herzen Jesu erst einmal wieder über die Formen hergestellt werden muss. So fern waren sie ihm geworden.

Im Frankreich des 18./19.Jhdt. nahmen weder die Royalisten noch die republikanischen Revolutionäre Rücksicht auf die Menschen. Es regierten Kälte und Brutalität, die umso mehr eine Sehnsucht nach dem Gegenteil wachsen ließen. Es ist deshalb kein Wunder, dass gerade dort die Herz-Jesu-Verehrung aufblühte und zu vielen Ordensgründungen führte, die sich dem Herzen Jesu verschrieben. Real lassen sich die Schritte weg von der „Religion der Pflicht“ hin zur „Religion der Liebe“ und damit der Beginn der „Zeit der Barmherzigkeit“ auf das Pontifikat Papst Pius IX. (1846-1878), eines Freundes von P. Chevalier, datieren.

Was trug P. Chevalier dazu bei?  

Auch er lernte die Herz-Jesu-Spiritualität seiner Zeit als eine in Andachten und Gebete gefasste fromme Verehrung kennen. Insbesondere in der überaus erfolgreichen Andacht zu Unserer Lieben Frau vom Heiligsten Herzen Jesu nahm er diese Form auch selbst auf (incl. ca. 30 Millionen Anhängern in Europa). Immer mehr spürte er aber, dass dies nicht das Ende sein konnte, wenn dieser Gott ganz Liebe ist. Dass die Liebe selbst zu mehr drängt als zur bloßen Verehrung, dass sie persönlich werden will und muss und ohne Grenzen ist. Wenn sie sich auf den schwachen Menschen einlässt, muss diese Liebe in ihrem tiefsten Grund unendlich barmherzig sein. Und immer da. Nicht nur in den dreiunddreißig Jahren des menschlichen Lebens Jesu, sondern schon seit Beginn der Zeiten bis in Ewigkeit, jede Stunde, Minute, Sekunde, Tag und Nacht. Ein Gott, der Beziehung zum Menschen sucht, zu jedem und jeder, ohne Unterschied. In allen Zeiten. Fokussiert im verwundeten Herzen Jesu, das für P. Chevalier schon immer im Heilsplan Gottes dafür vorgesehen war.

Das, was heute so bekannt klingt, war in der Mitte des 19. Jahrhunderts etwas völlig Neues, das sich auch noch weiter entwickeln musste bis hin zur Aufnahme dieser Theologie, besser: dieser Glaubenserfahrung im 2. Vatikanum und den darauffolgenden Pontifikaten. Auch für P. Chevalier fiel diese Erkenntnis nicht einfach vom Himmel und löste sofort alles Alte auf. Auch in ihm gaben sich die alten Gottesbilder nicht von heute auf morgen geschlagen. Es blieb ein Kampf, den er praktisch bis zu seinem Tod führen musste, mit vielen gewonnenen, aber auch vielen verlorenen Schlachten.

Aber in der Tiefe blieb die Erfahrung, dass Gott in sich ganz Liebe ist und die Menschwerdung Jesu seine letzte Möglichkeit, den Menschen, dies zu zeigen. Was gäbe es denn mehr als den Sohn, in dem man den Vater erkennen könnte.

Das und seine Liebe zu den Menschen erklären seinen Eifer und seine Leidenschaft, diese Liebe bis in den hintersten Winkel der Welt zu verkünden, besonders da, wo sonst niemand hingeht. Ihm war klar, dass das einzige Heilmittel für die Menschen mit verschlossenem Herzen, aus dem Gleichgültigkeit und Egoismus resultieren, nur diese unbedingte Liebe des Herzens Jesu sein konnte. Diese Liebe, die nicht anders kann als alle zu retten, zu heilen und zu lieben – weil sie es gar nicht aushält, dass nur ein Mensch verloren geht. Daraus entwickelte er Leitspruch und Auftrag unseres Charismas:

Geliebt sei überall das Heiligste Herz Jesu.
Ametur ubique terrarum Cor Jesu sacratissimum.

Damit keiner verloren geht!