
Zur Geschichte von Kirchental gehören auch viele Fügungen. Ohne die Barockisierung der Kirche in St. Martin, wäre die gotische Madonna mit dem Stieglitz vermutlich nie über die „Zwischenstation Pfarrhausdachboden St. Martin“ in Kirchental gelandet. Ohne sie wiederum, wäre dort vermutlich nie der „Pinzgauer Dom“ gebaut worden, ohne sie gäbe es dort vermutlich auch nicht diese Menge an Votivtafeln, der größte Teil nicht um etwas bittend, sondern als Dank für eine Gebetserhörung. Es ist eben ein besonderer Ort. Am Ende des 2. Weltkrieges fügte sich etwas, das man vielleicht bestenfalls in einem amerikanischen Spielfilm erwarten würde: P. Wimmer wurde in herausfordernder Weise erneut mit seiner Nazigeschichte konfrontiert.

Kam er 1939 quasi als Flüchtling (vor den Nazis) nach Kirchental, kam nun ein Flüchtling zu ihm. Martin Bormann, der älteste Sohn des Reichsleiters und Privatsekretärs Hitlers, war als Napolaschüler noch in den letzten Wochen des Krieges als 16-jähriger eingezogen und nach Italien geschickt worden. Auf seiner Flucht von dort am Ende des Krieges kam er in ein Hochtal (Hirschbichl) in der Nähe von Kirchental und fand, als Martin Bergmann, Aufnahme bei einem Bergbauern. Dieser war ein frommer Mann, der jeden Sonntag 1 ½ h zur Messe nach Kirchental ging und mit seinem Gast darüber ins Gespräch kam. Das Zeugnis des Bauern, beeindruckte den jungen Mann, der sich dann auch auf den Weg machte und mit P. Wimmer regelmäßig geistliche Gespräche führte. Dem entging das Geheimnis des jungen Mannes nicht, was ihn aber nicht hinderte, ihm zu helfen und ihn am Ende des Begleitungsprozesses zu taufen. Katholisch, offenbar trauten beide der Gültigkeit seiner evangelischen Taufe (mit Hitler als Taufpaten) nicht oder wollten ganz einfach eine klare Abgrenzung zu seiner Vorgeschichte setzen.
Auch das weitere ist filmreif: Ein Brief, adressiert an „Martin Bormann“, Kirchental, machte den Briefträger stutzig, der das an die amerikanische Verwaltung weitergab. Diese handelte sofort, verhaftete Martin zeitnah und brachte ihn nach München, um von ihm den Aufenthaltsort seines Vaters zu erfahren (der sich bei Kriegsende allerdings schon suizidiert hatte). P. Wimmer hatte die Mitbrüder in Birkeneck gebeten, sich um den jungen Mann zu kümmern. Sie nahmen ihn auch auf, als er aus der Haft entlassen wurde.
Nachholen des Abiturs in Ingolstadt, Theologiestudium in Innsbruck und Priesterweihe folgten – letztere in Kirchental. Filmreif eben! Natürlich war das ein gefundenes Fressen für die Presse, zu der P. Bormann eine gewisse Affinität hatte. Ohne Scheu sprach er von einem „vorbildlichen Vater“, obwohl der ihm schon als Kind sehr klar gemacht hatte, dass er seine Frau erschießen würde, wenn sie ein Verhältnis hätte und dass er, Martin, nach dem Endsieg endlich auf alle Priester schießen dürfe. Merke: Auch Priesterweihen schützen nicht vor falschen Idealisierungen.
Kurzfassung „Filmende“: Einige Jahre als Kongomissionar, später Mitglied eines Teams zur Berufepastoral, heftiger Autounfall mit langem Krankenhausaufenthalt, Laisierung, Heirat, Arbeit als Lehrer, Tod.

Nicht nur für P. Martin, auch für all die jungen MSC, die zum Studium in Innsbruck waren, war Kirchental mehr als eine gute Fügung. Heute noch kann man in den Schilderungen der Beteiligten die Begeisterung über die Aufenthalte in Kirchental spüren, sowohl im Sommer (Mithilfe bei der Ernte, Heuen etc.), als auch um Weihnachten (begabte musikalische Unterstützung der Liturgie). Diese Zeiten müssen legendär und unvergessliche Gemeinschaftserfahrungen gewesen sein, auch mit Skifahren auf dem Hang (besser: Hängle) hinter der Kirche (natürlich noch ohne Lift), Schneeballschlachten und nicht zuletzt dem Bau eines Riesenschneemanns, dem seine Höhe erlaubte, direkt in das Zimmer von P. Wimmer im 1. Stock zu blicken. Der nahm´s wie immer mit Humor, den uns unser Gründer ja schon in die Konstitutionen schrieb.
Fortsetzung folgt