P. Dr. Norbert Rutschmann MSC *1954

Was lange währt …

Dr.med. (ärztlicher Psychotherapeut), Lic. theol. (Pastoralpsychologie), Exerzitienbegleiter, geistlicher Begleiter, Eintritt 2013 im Alter von 59 Jahren bei den Herz-Jesu-Missionaren, ewige Profess 2017, Diakonen- und Priesterweihe ebenfalls 2017.

So trocken könnte eine Vorstellung aussehen – und würde nichts darüber erzählen über diesen langen Berufungsweg, der ein Heilsweg wurde. Wo begann das, was lange gar nicht danach aussah? In der Not der Kindheit und Jugend? Schon da kann ich – im Rückblick – das Wirken Gottes festmachen, auch später in der Heilung alter Verletzungen und in dem Ruf dahin, andere Menschen genau dabei zu begleiten. Das dauerte. Es hat lange gebraucht, bis mir Gott meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen konnte: Ich möchte lieben lernen. Das begann – bewusst – schon 1985, aber die Natur, meine, stellte sich der Gnade lange in den Weg. Oder vielleicht braucht es einfach so lange, um ein verschlossenes Herz zu öffnen – und aus dem Hindernis ein Mittel zum Ziel zu machen?

Schon vorher waren Menschen wichtig gewesen, die Gott mir auf den Weg stellte, die entscheidende Weichen setzten:

P. Eugen, ein Pallottiner, der Kaplan in unserer Pfarrei wurde, ein Kontrabild zu unserem strengen, alten Pfarrer. Er band seine Soutane hoch und spielte mit uns Ministranten Fußball. Das war Kirche ganz neu für mich. Vor allem aber kümmerte er sich um mich und meine Familie, als mein Vater starb. Da war ich zehn. Ein Jahr später wurde er abgezogen. Beides habe ich Gott lange nicht verziehen. Trotzig und nachtragend sein konnte ich schon als kleiner Junge ziemlich gut. Die Folge: 10 Jahre Pause mit Gott und Kirche.

Eine Gruppe von Studenten, mit denen ich 1974 – zu dieser Zeit völlig areligiös – eine Wanderung nach Würzburg machte und am Schluss der Woche ganz arglos mit ihnen die Messe besuchte. Weil eben alle gingen. Bei der Predigt über den reichen Jüngling sah ich mich in der Kirche ganz alleine sitzen, so als predige der Priester ausschließlich für mich.

Im Rückblick kann ich das als den ersten Ruf Gottes an mich identifizieren. Aber wie soll man darauf antworten, wenn man gerade drei Tage zuvor die langersehnte – und überraschende – Zulassung zum Medizinstudium bekommen hat und noch dazu überhaupt keine Idee hat, was ein Ruf Gottes ist. Die Pause mit Gott und Kirche ging weiter. Noch einmal 10 Jahre. Immerhin spielte ich – dessen nicht wirklich bewusst – in einem katholischen DJK-Verein Handball, incl. Weihnachtsfeier mit Andacht und Priester. Aber das war´s auch.

Dann kam Wolfgang, heute ständiger Diakon in der Schweiz. Er kam als Patient in meine Allgemeinarztpraxis und erzählte, er wolle nach dem Abitur in die Ordensgemeinschaft eintreten, in deren Internat er lebte. Er war ein netter Kerl und ich wollte ihn retten (Ärzte wollen das immer!), ihm ein paar Argumente „aus der Welt“ gegen diesen Schritt liefern. Das Gespräch endete damit, dass nicht er, sondern ich in Frage stellen musste, ob das, was ich da lebte, wirklich mit meinen Werten und Überzeugungen übereinstimmte. Drei Monate später, Ostern 1985, fiel die Entscheidung, die Praxis zu verkaufen und mich auf einen geistlichen Weg mit dieser Gemeinschaft zu begeben. Das hieß auch noch einmal Studium, obwohl ich mir nach dem Staatsexamen in Medizin geschworen hatte, nie mehr eine Prüfung zu machen. Denkste! Unzählige folgten.

Die Gemeinschaft hatte ein Haus in Frankfurt, so landete ich dort und zum Studium in St. Georgen bei den Jesuiten. Nach heftigen Turbulenzen in der Leitung der Gemeinschaft spitzte sich die Situation so krisenhaft zu, dass wir 8 (!) jungen Leute in Ausbildung es vorzogen, andere Wege zu suchen.

Der Wechsel in die Diözese und in deren Priesterseminar schenkte mir eine gute Zeit, v.a. eine Zeit geistlichen Wachstums, die der anfänglichen Begeisterung Tiefe gab und in der vor allem ein starkes Vertrauen zu Gott wuchs. Darauf aufbauend bekam ich den Mut und glücklicherweise auch die Chance, mich an meine Seele zu wagen. Das war befreiend, weil es mir eine neue Hoffnung gab. Nicht Straßenkinder in Cochabamba stand an, sondern Aufräumen im eigenen Haus. Das macht einen manchmal vorübergehend schwierig, jedenfalls legte der Rektor des Seminars am Ende ein Veto gegen meine Zulassung zur Weihe ein. Das war 1992. Und ein abruptes Ende mit der Kirche. Gott blieb mir.

Wieder fast 10 Jahre Pause, bis Gott sich wieder meldete und die alte Sehnsucht erneut hochdrängte. Ich hatte zwischendurch wieder als Arzt gearbeitet (Psychiatrie) und nach einer weiteren Ausbildung eine Praxis als Psychotherapeut eröffnet. Zunehmend kamen Menschen aus dem kirchlichen Dienst in Therapie, dann ab 2006 auch zu Exerzitien und in geistliche Begleitung. Über diese Exerzitien, die jedes Jahr die beglückendste Woche für mich waren, brach die alte Sehnsucht wieder auf. Sie führte mich 2012 zu einer doppelten inneren Sicherheit: Jetzt ist es soweit. Aber auch: jetzt oder nie!

Kontakte mit franziskanischen Gemeinschaften waren alle zäh und letztlich wegen meines Alters ablehnend. In „Ausbildungsstrukturen für 30-jährige“ passt keiner mit 59. Das war´s, dachte ich, denn ich hatte zum ersten Mal keine Spur mehr. Gott musste mir alle eigenen Pläne nehmen, um mir das schenken zu können, worum ich ihn am Anfang des Wegs gebeten hatte.

So fiel mir in Maria Baumgärtle, einer Wallfahrtskirche im Unterallgäu, die Missionszeitschrift „Kontinente“ in die Hand. Ziemlich am Ende gab es einen Artikel über Gefängnispastoral in Brasilien (Sr. Petra Pfaller MC) und auf Fiji (Br. Gerald Warbrooke MSC). Das roch nach Heimat, den hätte ich ganz genauso auch schreiben können. Nach (sehr) kurzem Zögern nahm ich Kontakt mit P. Marcus Klemens von der süddeutsch-österreichischen Provinz der Herz-Jesu-Missionare auf, von deren Existenz ich bis dato gar nichts gewusst hatte. Von da an lief alles ganz einfach!

Heute sitze ich hier, staune über alles, was in diesen Jahren geschehen ist und bin sicher, dass es genauso sein musste, um meine Berufung zu finden: den Menschen zu helfen, ihre lebensgeschichtlich verdüsterten unbewussten Gottesbilder zu entdecken und aufzusuchen, die das Bild des biblischen Gottes wie ein Schwarzfilter verdunkeln. Und natürlich auch zu helfen, diese Schwarzfilter aufzulösen, damit er als der erfahren werden kann, der er ist. Das heißt oft Arbeit am „offenen Herzen“, um die Liebe wiederzufinden, die eine Antwort auf die Liebe Gottes und der Menschen geben kann. Das alte Defizit wird – verwandelt – zur größten Stärke. Der, der lieben lernen wollte, findet seine Berufung am Herzen Jesu. Gäbe es dazu einen besseren Platz!

Kleine Warnung oder kleiner Tipp – wie man´s will:

Man muss sich gut überlegen, was man sich von Gott wünscht. Er nimmt einen beim Wort und erfüllt sein Versprechen: Alles, was ihr aus ganzem Herzen erbittet …

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