Am 15.3.2024 jährt sich zum 200.sten Mal der Geburtstag unseres Gründers P. Jules Chevalier, ein willkommener Anlass, noch einmal tiefer zu blicken, was uns unser Gründer heute noch zu sagen hat.
6. Gedanke:
Mt 28,19-20: Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.
Selten sind Sätze so verdreht, instrumentalisiert oder einfach nur missverstanden (?) worden wie dieser kurze Auftrag Jesu an seine Jünger am Ende des Matthäusevangeliums. Entsprechend groß waren die Verwerfungen in alle Richtungen.
„Alle Völker“ hätte sich schon nach Meinung der Urgemeinde in Jerusalem auf sie selbst beschränken sollen. Auf die „Rechtgläubigen“, die es auch heute noch gibt, die an ihren alten Gewohnheiten und Gewissheiten hängen, die jeder neue Schritt ängstigt, den es demzufolge auch zu verhindern gilt und die Gott als ihren Besitz betrachten. Es brauchte damals die Visionen des Petrus in Joppe (Apg 10,9 ff), um ihn selbst und die Urgemeinde davon zu überzeugen, dass Gott, wenn er von allen Völkern spricht, auch alle Völker in gleichem Maße meint.
Die andere Fehlspur ist das andere Extrem: Geht hin, macht alle zu meinen Jüngern – koste es, was es wolle. Hauptsache getauft. Wenn nötig mit Waffengewalt und Unterwerfung. Und man lehrte die Getauften, was geboten war. Geboten aber eben nicht von Gott, sondern von denen, die von den Geboten profitierten. Ausnahmen, wie die Jesuitenreduktionen in Paraguay, waren von beschränkter Dauer und wurden Machtinteressen geopfert (Der Film „Mission“ von Roland Joffé schildert das in beeindruckender Weise.)
Chevalier hat den Missionsauftrag des Evangeliums ernst genommen, ohne in die 2. Fehlspur zu verfallen: „Überall sei das Heiligste Herz Jesu geliebt“, überall soll seine Liebe verkündet werden, Raum finden und im Sinne der Liebe alles verändern. Damit alle Menschen das erfahren, was Jesus bei seiner eigenen Taufe zugesagt wurde: „Du bist mein geliebter Sohn, an Dir habe ich Gefallen gefunden.“ (Lk 3,22) Was natürlich auch für Töchter gilt und alle, die sich mit ihrer eigenen Geschlechterzuordnung schwertun. Alle eben!
„Lehrt sie alles, was ich euch geboten habe“ – auch da war P. Chevalier sehr klar, dass es gilt, das wörtlich zu nehmen: es geht um die Gebote Gottes, nicht um die der Menschen. Das war ihm unbestreitbar klar. Aber was sind die Gebote Gottes? Darüber ließ sich trefflich streiten, durch alle Jahrhunderte hindurch, bis heute. Was ist die „richtige“ Lehre? Ist sie in Stein gemeißelt? Müssen sich das Verständnis dafür und die jeweiligen geschichtlichen Umsetzungen je neu entwickeln oder ist die Interpretation in eine neue Zeit hinein schon per se häretisch? Was die Frage aufwirft, ob der Heilige Geist ein Bewahrer oder ein Erneuerer ist? Oder vielleicht beides? Nur bis zum Konzil von Trient oder auch heute noch?
Dabei sind die beiden einzigen Gebote Gottes, von denen wir aus dem Mund Jesu wissen, sehr eindeutig und zeitlos: „Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben und Deinen Nächsten wie Dich selbst! (Mk 12,30ff) Wie das zu geschehen hat – dafür gibt es keine Regeln. Das entwerfen die beiden Liebenden für sich. Liebe geht nicht ohne diese Freiheit, wenn sie nicht nur verkleidete Abhängigkeit sein will oder Rekapitulation von Formalitäten.
Dem ist das Leben vorausgesetzt. Wo es kein Leben gibt, gibt es auch keine Freiheit. Ohne Schöpfung kein Leben, ohne Befreiung aus der Sklaverei (dem Exodus) keine Freiheit, ohne Freiheit keine liebende Beziehung – mit Gott und den Menschen.
Das war die Intention P. Chevaliers: Diesen Prozess in Gang zu setzen, der mit der schöpferischen, lebensspendenden Liebe beginnt. Zuerst dort, wohin der Bischof von Bourges ihn geschickt hatte, in Issoudun und in der umgebenden Region des Bercy. Dann in der ganzen Welt. Weil das Leben, die Freiheit und die Liebe nicht davon abhängen dürfen, auf welcher Seite des Globus ich geboren wurde. Es gilt, das Glück zu teilen, am besten verschwenderisch. So wie Gott liebt. Nachfolge eben, Mission, wie sie P. Chevalier verstand und seinen Mitbrüdern und Schwestern mitgab: Es ist nicht wichtig, was wir tun, es ist wichtig, wie wir es tun. Und aus welchen Beweggründen. Aber auf jeden Fall überall. Ametur ubique sacratissimum cor Jesu – überall sei geliebt das heiligste Herz Jesu, weil nur daraus die Liebe kommen kann, die die Welt verändert, weil sie Leben spendet, Freiheit ermöglicht und zur Liebe befähigt. Das glaubte P. Chevalier zutiefst und danach handelte er. Im tiefen Glauben, dass er auch dem letzten Satz des Matthäusevangeliums vertrauen kann: Ich bin mit Euch alle Tage bis zum Ende der Welt.