
Darf man von einer „Erfolgsgeschichte“ sprechen und sie auch noch feiern, wenn eine Jugendhilfeeinrichtung 100 Jahre alt wird. Oder müsste man es nicht viel mehr feiern, wenn die gesellschaftliche Entwicklung sie überflüssig gemacht hätte? Das ist eine philosophische Frage, die sich erst im Himmel abschließend beantworten lässt, denn solange es Menschen gibt, wird es auch Hilfen für Kinder und Jugendliche geben müssen. Alles andere wäre paradiesisch – und damit jenseits unserer Welt. Bei der Feier des himmlischen Hochzeitsmahls.

Ich denke, man darf. Wir feiern ja nicht 100 Jahre Einrichtung, sondern die Menschen, die sich in diesen 100 Jahren für diesen schwierigen Dienst zur Verfügung gestellt haben. Menschen mit Hingabebereitschaft, Geduld, Empathie für die, die ihnen anvertraut wurden und die das sicher nicht nur einmal bis an die Grenzen, und oft auch darüber ausreizten. Das gehört ja schon von Natur aus zu dieser nicht ganz einfachen Zeit, die man Pubertät nennt, in der die meisten der sogenannten „Zöglinge“ altersentsprechend festsaßen. Nicht zuletzt, weil die dazu nötigen Hilfestellungen in ihren Familien nicht gegeben waren: bei kriegsbedingt fehlenden Vätern, gesellschaftlichen Umwälzungen vom autoritären Erziehungsstil zur laissez-faire-„Erziehung“ und all den anderen neuen Einflüssen, die am Ende in einem „Ich weiß auch nicht mehr, was ich tun soll“ mündeten. Letzte Station: Jugendhilfeeinrichtung.
Das auffangen zu müssen, was zuhause schieflief, verknüpft mit der neuen Kränkung des abgegeben Werdens, der nicht seltenen Schuldzuweisung an den Jugendlichen für das Dilemma, die geballte Wut und Trauer, die die Jugendlichen in sich hatten – das war und ist harte Arbeit. Vielleicht die härteste, die es gibt. Dafür all den Menschen in diesen 100 Jahren, die sich dafür investierten, alle Ehre und allen Dank. Auch denen, die damit das ein oder andere Mal überfordert waren. Das, was darüber hinausging, muss aufgearbeitet werden und wird es ja auch schon. Auch das gehört zu einem Rückblick.
Die Menschen, die sich dieser schwierigen Aufgabe stellen wollen, werden zahlenmäßig weniger, die geschlossene Station für sehr schwierige und aggressive Jugendliche musste wegen Personalmangels schon geschlossen werden, die Grundschule ist in Gefahr, dasselbe Schicksal zu erleiden, die Tendenz geht, auch politisch bedingt, eher zu kleineren Erziehungseinheiten, weg von den großen Werken. D.h. es ist die Frage, wie lange es noch etwas zu feiern gibt.

Notwendig werden Hilfseinrichtungen für Jugendliche wohl noch lange sein (s.o. Paradies 😉), ob es sie weiter geben kann, wird davon abhängen, inwieweit die öffentliche Hand bereit ist, ausreichende Ressourcen dafür zur Verfügung zu stellen, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die sinnvolle Arbeit ermöglichen und den Jugendlichen den Wert zu geben, den sie verdienen. Auch wenn sie mitunter schwierig sind. „Jeder Mensch benötigt das Gefühl willkommen zu sein und zu wissen: Hier bin I daoam“, wie es Kardinal Marx auf den Punkt brachte.